Von Toulon nach Freiburg

'Ankunft in der Fremde - Von Toulon nach Freiburg'

Ein lyrischer Roman über eine Episode im Leben des jungen Franzosen Pascal: seine Militärzeit in Freiburg. Es ist das Zeitzeugnis einer längst vergangenen Epoche, aus ungewöhnlichem Blickwinkel erzählt. Dabei eröffnen sich Schlaglichter auf ein Erwachsenwerden, die das Werk auch zu einer historischen, interkulturellen Coming-of-Age-Geschichte werden lassen.

Scappini, Gérard
Pendragon Verlag
Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Erschienen am 15.09.2021
(kartoniertes Buch)  17,00 € (inkl. MwSt.)

ISBN/EAN: 9783865327345
Sprache: Deutsch
Umfang: 216 S.
Format (T/L/B): 1.5 x 19 x 11.7 cm
Einband: Englische Broschur

Man könnte Gérard Scappinis Roman "Ankunft in der Fremde" lesen wie einen Zeitzeugenbericht. Wie sein Protagonist Pascal Napolitana stammt Scappini aus Toulon – und nachdem der Autor in den beiden Vorgängerbänden über Kindheit und Jugend Pascals in der südfranzösischen Stadt geschrieben hat, geht es nun ins Freiburg der Jahre 1966/67, wo der junge Mann, wie damals der Autor selbst, seinen 16-monatigen Militärdienst ableisten muss. In der Tasche hat er einen Gedichtband des Pazifisten Prévert, dafür keinen Schulabschluss, von Deutschland kennt er kaum mehr als "Goethe / Hitler / und Beckenbauer". 

Aus dem ungewohnten Blickwinkel eines französischen Soldaten erzählt der Roman von einer Epoche der Freiburger Geschichte, als die Truppen des ehemaligen Besatzers, seine Kasernen und Verwaltungsgebäude längst Teil des Stadtbilds geworden sind. Die Perspektive ist exklusiv, ja intim. Abhängig ist die von einem bisweilen zaghaften Ich-Erzähler und einem höchst begrenzten Bewegungsradius hinter Kasernenmauern, zwischen Kantinen, Wachposten und schließlich den wenigen Treffpunkten mit Kameraden und neuen Freunden. Nimmt der Ich-Erzähler die Menschen im kalten Freiburg zunächst als misstrauisch und abweisend wahr, tritt er allmählich mit ihnen in Kontakt – mit der Französischstudentin Uschi, radebrechend mit der Verkäuferin, die ihn nach "Weggle oder Milchweggle" fragt, beim Tanz mit gleichaltrigen Einheimischen, von denen die Soldaten nur an den kurzgeschorenen Haaren zu unterscheiden sind. 
 
So entsteht eine sehr persönliche emotionale Topografie der fremden Stadt: der Beatkeller und der Brunnen auf dem Münsterplatz, das Lorettobad, wo der Ich-Erzähler im Tausch gegen ein paar Liter abgezweigtes Benzin den Sommer verbringt, die nach Lavendel duftende Badewanne in der Kandelstraße, in der Verena mit ihm sitzt. 

Die Perspektive bleibt die des jungen Schulabbrechers, der nicht weiß, was er von seiner Zukunft eigentlich erwartet, und nicht versteht, weshalb er in einem offenbar friedlichen Land Krieg spielen und Büros bewachen soll. "Ankunft in der Fremde" ist damit auch eine Geschichte vom Erwachsenwerden. "Ich lasse mich treiben. Abwartend. Ziellos": Die bürgerliche Welt bietet dem Ich-Erzähler oft ebenso wenige Orientierung wie jene fremde Stadt, in der er so unvermittelt im tiefsten Winter abgesetzt wurde. 
 
Für diese zögerliche Ankunft hat Scappini eine auffällige, jedoch passende Sprache gefunden. Die Setzung in freien Versen, die auch aus einzelnen Wörtern bestehen können, verleihen der angenehm schmucklosen Prosa einen eigenen Rhythmus, der vorantreibt und doch immer wieder in unerwarteten Momenten innezuhalten scheint. So lesen sich die Sätze mal atemlos, mal als vorsichtige Annäherung an Gefühl und Ausdruck. Sie bringen die unbeholfene Aneignung der fremden Sprache zum Ausdruck, einen Prozess der Formsuche und der Selbstfindung. 

Gérard Scappini: Ankunft in der Fremde. Pendragon, Bielefeld 2022.  
216 Seiten,   17 Euro. 

Scappini kommt im dritten Band an. Aus der Fremde wird Heimat und er ahnt am Ende seinen kommenden Weg. „Ankunft in der Fremde“ ist sein dritter Lyrik-Roman in dem sein Alter Ego, Pascal, seine persönlichen Erinnerungen festhält. Es ist der Werdegang eines jungen Franzosen in Deutschland. Pascal ist Scappini, doch durch die Kunstfigur, gleich Martin Schlosser als Gerhard Henschels Alter-Ego-Figur, kann sich der Autor etwas von dem eigenen Charakter distanzieren und sich mehr Freiheiten erlauben.  

Gérard Scappini wurde 1947 in Toulon geboren. 1966 kam er nach Deutschland, um seinen Militärdienst zu absolvieren und blieb danach in Freiburg. Er studierte Ethnologie, gründete eine Buchhandlung und reiste viele Jahre als Verlagsvertreter. 

In „Ankunft in der Fremde“, mit dem Untertitel „Von Toulon nach Freiburg“, werden die Jahre 1966 bis 1967 betrachtet. Im Mittelpunkt steht Pascals Militärdienst im Französischen Heer in Freiburg. Somit ist es ein Zeitzeugnis mit einem ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Deutsche Geschichte. Auch ist es ungewöhnlich, weil es erneut lyrische Prosa ist. Die Gedichte, es sind wie in den zwei vorherigen Werken genau 57, sind bodenständig und geben lediglich einen Rhythmus vor. Beim Lesen verliert sich immer mehr der Blickwinkel auf die Lyrik und der Inhalt erschließt sich romanhaft. Durch das Sprachbild und den eigenen Klang macht der Text etwas mit dem Lesenden und es wird etwas ganz Eigenartiges und Besonderes daraus. 

Pascal weiß nicht, was er vom Leben erwartet. Auch möchte er nicht wissen, was das Leben von ihm zu erwarten hat. Er ist noch zu jung, um sich selbst zu erfassen. Er verlässt seine Heimat in Südfrankreich und tritt seinen Militärdienst in Freiburg an. Mit Deutschland verbindet er vorerst nur drei Namen: Goethe, Hitler und Beckenbauer. Während der Grundausbildung findet er Freunde, doch sein tatsächliches Umfeld kann er anfänglich nur durch die Kaserne erahnen. Seine Leidenschaft, des Rugbyspiel, behält er bei und organisiert spiele in der wenigen Freizeit. Die große Freiheit erlebt er nach der Grundausbildung, als er als Chauffeur eingesetzt wird. Er erlernt mit einem Liliput-Wörterbuch langsam die Deutsche Sprache und knüpft zaghaft Kontakte und verliebt sich. Sein Blickwinkel fällt dabei auf das damalige junge Leben in Wohngemeinschaften, den Beatclubs und der unbändigen Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer. Sein Heimaturlaub ist etwas holprig und geschmückt mit unverständlichen Lügengeschichten und in ihm keimt die Ahnung, dass er seine Zukunft in Freiburg suchen wird. Er weiß zwar noch nicht, was er mit sich nach dem Militärdienst anfangen soll, bekommt aber unerwartete Entscheidungshilfe, zumindest was seine Heimatwahl betrifft. 

Mit seinen 57 Gedichten schlägt Scappini Bögen um seine persönlichen Erinnerungen. In „Ankunft in der Fremde“ ist es das geringste Zeitfenster, aber mit der größten Entwicklung des Hauptcharakters. Es ist ein interkultureller und poetischer Text. Eine persönliche Lyrik, die sich dem Leser nicht verschließt und mit keinerlei Metaphorik und Sinnbildern den Inhalt verschleiert. 

Durch die verknappte, aber schöne und rhythmische Sprache sind die Werke von Scappini eine kurzweilige, aber lohnenswerte Reise in die Lyrik. Ein ganz besonderer Entwicklungsroman vor historischer Kulisse. 

Besprechung in Leseschatz vom 10.01.22 von Hauke Harder